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1.2.2 Thomas’ Argumente

 

Mit Hilfe der folgenden Argumente rechtfertigt Thomas philosophisch seine Meinung zur Zeitlosigkeit der Weltschöpfung:

 

1°) Der metaphysische Gottesvorrang vor der Welt impliziert überhaupt keine chronologische Vorzeitigkeit, d.h. kein zeitliches Vorausgehen.[1] Thomas zufolge ist das genaue Weltwerden eigentlich eine sofortige Wirkung ohne zeitlichen Bewegungsprozess. D.h. das genaue Weltwerden ist im engsten Sinne die Schöpfung der allgemeinen, universellen und nötigen Möglichkeitsbedingungen („materia prima“ und „forma substantialis“) für die Existenz der Kreaturen; deren jeweils einzelnes Werden ein allmählicher zeit-räumlicher Prozess ist. Thomas fasst das Argument folgendermaßen zusammen:

 

«Sed Deus est causa producens effectum suum non per motum, sed subito. Ergo non est necessarium quod duratione praecedat effectum suum. [...] Ergo in quocumque instanti ponitur agens producens effectum suum subito, potest poni terminus actionis suae. Sed terminus actionis est simul cum ipso facto. Ergo non repugnat intellectui si ponatur causa producens effectum suum subito non praecedere duratione causatum suum».[2]

 

Aufgrund des analogen Sprachgebrauchs ist das Thomanische Argument zwar offensichtlich kritisierbar, aber es scheint genug plausibel zu sein. Z.B. können die folgenden Ausdrücke polemisch wegen ihrer analogen zeitlichen Konnotation gedeutet werden: „Subito“, „instanti“, „simul“.[3] Auch impliziert Boëthius’ Ewigkeitsdefinition dieselbe Polemik, denn er gebraucht auch das Wort „simul“ analog.

 

2°) Wenn Wirkursachen während ihrer aktiven Anwesenheit die Existenz ihrer Wirkungen erzeugen können, kann Gott auch ewig die Existenz der Welt verursacht haben.[4]

 

3°) Gott ist vollkommen und es mangelt ihm ewig an nichts. Deswegen kann er ewig und ganz frei die Welt geschaffen haben.

 

4°) Die Ewigkeit Gottes schließt völlig irgendeine chronologische Vorzeitigkeit bezüglich seines Denkens, Wollens, Entscheidens und Handelns aus. Deshalb geht Gott nicht zeitlich seinem schaffenden Wirken voraus und die Weltschöpfung kann ewig gewesen sein.[5]

 

5°) Die Zeitlichkeit ist eine Eigenschaft der Welt. Aus diesem Grund gibt es kein zeitliches „Vor“ der Weltschöpfung. Übrigens existiert das Nichts überhaupt nicht. Deswegen ist es doppelt widersprüchlich, über die „Existenz“ des Nichts „vor“ der Weltschöpfung zu sprechen. In diesem Zusammenhang bedeutet der Ausdruck „creatio ex nihilo“, dass das Weltwerden eigentlich Schöpfung im engsten Sinne ist. Das bedeutet, dass die Weltschöpfung im Allgemeinen die Schöpfung der „materiae primae“ und „formae substantialis“ impliziert, d.h. der universellen und nötigen Möglichkeitsbedingungen für die Existenz der Kreaturen.

 

 

 

 

[1] Laut Thomas ist der Vorrang der Ursache vor der Wirkung etwas Logisches und Ontologisches aufgrund des Vorrangs der „substantiae“ vor dem „complemento“. Außerdem gibt es auch einen zeitlichen Vorrang, d.h. eine chronologische Vorzeitigkeit wegen des zeitlichen Vorausgehens der Ursache während des Werdensprozesses („generatione“). Vgl. AQUIN, Thomas von, De principiis…, S. 95, K. 1V, Z. 3-8.

 

[2] AQUIN, Thomas von, »De aeternitate mundi contra murmurantes«, in: Opuscula philosophica (Marietti, Turin /Rom 1954), S. 106, A. 299.

 

[3] Deutsche Übersetzungen haben dasselbe Problem, weil die Bedeutung der folgenden Wörter auch in gewissem Sinn etwas Zeitliches vorausgesetzt: „Unmittelbar“, „Augenblick“ und „gleichzeitig“. Die folgende Übersetzung von Peter Nickl kann man vgl. ders., Über die Ewigkeit der Welt (Vittorio Klostermann, Frankfurt 2000), S. 89.

 

[4] Aus diesem Grund folgert Thomas folgendes: «Ergo multo fortius Deus, qui producit totam rei substantiam, potest facere ut causatum suum sit quandocumque ipse est». Ders., »De aeternitate…«, S. 106, A. 300.

 

[5] Thomas setzt folgendes hinzu: «Et ita patet quod non repugnat intellectui, quod dicitur causa agens non praecedere effectum suum duratione; quia in illis quae repugnant intellectui, Deus non potest facere ut illud sit». Ebd., S. 106, A. 302. Der Ausdruck „Deus non potest facere“ bedeutet keine Begrenzung der Macht Gottes, sondern die Vollkommenheit seiner vernünftigen Macht. Diesbezüglich schreibt Kolakowski folgendes: «Therefore, when we say that God cannot, for instance, abolish the rules of logic or of ethics, the word ‘cannot’, like all the other words we employ to picture Him, has a meaning different from its common usage […]. Far from referring to a person’s contingent inability to perform an action, it signifies God’s plenitude of being. Since the only act God ‘cannot’ carry out is to kill Himself and since this inability is included in His necessary existence which in its turn implies the absence of any limitations, it appears that when saying He ‘cannot’ do something, we simply reaffirm His omnipotence; He ‘cannot’ stop being almighty». KOLAKOWSKI, Leszek, Religion. If there is no God… On God, the Devil, Sin and other Worries of the so-called Philosophy of Religion (Oxford University, New York/ Oxford 1982), S. 30-31.

 

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