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2. Metaphysische Betrachtungen über Hawkings Urknalltheorie

 

Obwohl die folgenden Betrachtungen aus der kosmologischen Urknalltheorie Hawkings stammen, sind sie metaphysikorientiert. Laut Hawking können die kosmologischen Grundfragen folgendermaßen gestellt werden:

 

«We find ourselves in a bewildering world. We want to make sense of what we see around us and to ask: What is the nature of the universe? What is our place in it and where did it and we come from? Why is it the way it is?»[1]

 

Die philosophische Antwort auf die oben gestellten Fragen setzt einen impliziten Bezug auf die Thematik der Metaphysik voraus. Vielleicht gibt es auch metaphysische Implikationen im Hawkingschen Vereinheitlichungsversuch der Relativitäts- und Quantentheorien, denn mit Hilfe der „Quantentheorie der Gravitation“[2] sucht Hawking eine „Theorie vom Allem“,[3] d.h. die Weltformel und die Antwort auf alles.

 

Hawking zufolge kann die M-Theorie gewiss die Stringtheorien mit der Supergravitationstheorie in Einklang bringen.[4] Gemäß der M-Theorie hat das Universum bis zu elf Dimensionen.[5] Einerseits interessieren sich die Supergravitations- und Relativitätstheorien für die vier folgenden zeit-räumlichen Dimensionen: Länge, Breite, Tiefe und Zeit. Wegen der Schwerkraft ist die Zeit die Krümmung des Raums der drei ersteren Dimensionen. Andererseits setzen sich die String- und Quantentheorien mit den übrigen anderen Dimensionen auseinander, denn diese letzteren sind Mikrodimensionen. Während die vier ersteren das zeit-räumliche Makrouniversum bilden, wird das Mikrouniversum von den Mikrodimensionen gestaltet.[6]

 

Das Universum ist überhaupt nichts Statisches, sondern etwas Dynamisches. Das bedeutet, dass es im expandierenden Universum einen ständigen Wandelprozess gibt. Nach Hawking ist die zunehmende Rotverschiebung elektromagnetischer Wellen das physikalische Phänomen, das die ständige Expansion des Universums beweist. Je größer die Distanz zwischen den Galaxien ist, desto schneller ist die Geschwindigkeit der Expansion. Das Gegenteil der Expansion ist der Kollaps des Universums. Laut Hawking hängt die Zukunft des Universums entweder von der unbestimmten Expansion oder vom Kollaps des Universums ab. Bezüglich dieser beiden Möglichkeiten schreibt Hawking folgendes:

 

«Deshalb lautet die entscheidende Frage zur Zukunft des Universums: Welche durchschnittliche Dichte hat es? Liegt sie unter dem kritischen Wert, wird das Universum auf ewig expandieren. Liegt sie darüber, wird das Universum wieder in sich zusammenstürzen und die Zeit selbst im Großen Kollaps enden. Zum Glück habe ich gewisse Vorteile gegenüber anderen Propheten des Weltuntergangs. Selbst wenn das Universum eines Tages wieder in sich zusammenfallen sollte, kann ich mit Sicherheit vorhersagen, daß es mit seiner Expansion noch mindestens zehn Milliarden Jahre fortfahren wird. Ich rechne nicht damit, dann dazusein, so daß man es mir nicht vorhalten können wird, wenn ich mich geirrt habe».[7]

 

Die Expansion und der Kollaps des Universums stehen in Zusammenhang mit dem Hawkingschen Thema des Urknalls und des Großen Endkollapses, d.h. mit der Frage nach dem Ursprung und dem Schicksal des Universums.[8] Der Urknall ist die ursprüngliche Singularität der Universumsentstehung, die gemäß Hawking vor 10 oder 13 Milliarden Jahren geschehen sein kann. Wenn es einigen Großen Endkollaps oder Zusammenstürzen gäbe, könnte er sich hypothetisch nach mindestens 10 Milliarden Jahren ereignen.[9]

 

In diesem Zusammenhang ist es kritisch folgendes möglich zu fragen: Ist der Urknall der Anfang der Welt im Allgemeinen? Kann der Urknall mit der Weltschöpfung identifiziert werden? Es scheint die beste Antwort auf besagte Fragen negativ zu sein, weil der Thomanische Begriff von „mundo“ und der Hawkingsche Begriff von „universe“ wirklich unterschiedlich sind. Einerseits bedeutet „mundus“ bei Thomas die Gesamtheit von allgemeinen, universellen und nötigen Möglichkeitsbedingungen für die Existenz der Kreaturen. Andererseits bedeutet „universe“ bei Hawking die aktuelle Version der Welt, deren Wandelprozess einen Urknalls und einen Großen Endkollaps einbezieht.

 

Dennoch ist der Urknall im engsten Sinne keine Schöpfung, da die ursprüngliche Singularität der Universumsentstehung schon die Existenz eines Uratoms voraussetzt. Tatsächlich werden die Ausdrücke „Welt“ und „Universum“ in meiner Forschung mit verschieden Bedeutungen gebraucht. Infolgedessen hat „Welt“ zwar eine Thomanische Bedeutung, aber „Universum“ wird in Hawkingschem Sinn verwendet.

 

Aus diesem Grund scheint es kohärent zu sein, gleichzeitig bei Thomas die philosophische These über das zeitlose Werden der geschaffenen Welt und bei Hawking die physikalische These über die zeitliche Entstehung des Universums zu vertreten. Nach Thomas ist die Weltschöpfung zeitlos und laut Hawking ist die Universumsentstehung zwar zeitlich, aber das zeitlich begrenzte Universum hat wegen seiner ständigen und zunehmenden Expansion keine bestimmte Raumgrenze.

 

Hawkings Theorie schließt „meta-empirische“ Hypothesen ein, deren metaphysischer Bezug besonders bedeutsam ist. Z.B. schreibt Hawking hinsichtlich der physikalischen Gesetze der Frühgeschichte des Universums folgendes:

 

«These laws may have originally been decreed by God, but it appears that he has since left the universe to evolve according to them and does not now intervene in it. But how did he choose the initial state or configuration of the universe?»[10] «Der gegenwärtige Zustand des Universums resultiere also aus Gottes Wahl der Anfangsbedingungen».[11] «This means that the initial state of the universe must have been very carefully chosen indeed if the hot big bang model was correct right back to the beginning of time. It would be very difficult to explain why the universe should have begun in just this way, except as the act of a God who intended to create beings like us».[12]

 

Der hypothetische Wert der oben erwähnten Gesinnungen ist klar. Obwohl die theoretische Physik zwar eine gewisse unwillkürliche Ordnung in den physikalischen Gesetzen des Universums entdeckt, darf sie empirisch weder die Existenz Gottes noch das verursachende Wirken Gottes verifizieren oder falsifizieren. Die theoretische Physik kann zwar auf die folgende Frage antworten: Wie begann das Universum zu existieren? Aber sie kann überhaupt nicht antworten, warum und wozu das Universum existiert.[13] Während die erstere physikalisch nach dem Werdensprozess des Universums fragt, stellt die letztere philosophisch die Frage nach dem Sinn und Zweck des Kosmos. Hawking meint, dass eine vollständige Theorie des Universums naturwissenschaftliche und die philosophische Aspekte einschließen soll.[14]

 

 

 

 

[1] Vgl. HAWKING, Stephen W., Eine kurze Geschichte der Zeit. Die Suche nach der Urkraft des Universums (Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1991), S. 213.

 

[2] Vgl. ebd., S. 27.

 

[3] Im Jahre 2002 wurde das Buch „The theory of everything: the origin and fate of the universe“ veröffentlicht. Das war eine unbefugte Ausgabe des Werks „Hawkings’s life works: the Cambridge lectures“, das seit dem Jahre 1994 von Hawking herausgegeben worden war.

 

[4] Vgl. ders., Das Universum in der Nussschale (Hoffmann und Campe, Hamburg 2001), S. 62.64-65. 183-186. Hawking schreibt folgendes: «Wie in Kapitel 2 erläutert, haben wir mit der M-Theorie möglicherweise schon die Theorie für Alles gefunden». Ebd., S. 183.

 

[5] Hawking schreibt folgendes: «Die M-Theorie ist wie ein Puzzle: Am leichtesten lassen sich die Teile an den Rändern erkennen und zusammenfügen, also diejenigen Bereiche der M-Theorie, in denen bestimmte Parameter der Theorie klein sind. Wir haben jetzt eine ziemlich genaue Vorstellung von diesen Rändern, doch in der Mitte des M-Theorie-Puzzles klafft noch ein großes Loch. Wir wissen nicht, was dort vor sich geht […]. Solange wir dieses Loch nicht gefüllt haben, dürfen wir wahrlich nicht behaupten, wir hätten die Weltformel entdeckt». Ebd. Abgesehen von den elf Dimensionen setzt Hawking theoretisch die Existenz von „Branen“, einer „Branwelt“ und einer „Schattenbran“ voraus. Vgl. ebd., S. 190-207.

 

[6] Hawking zufolge sind die Elementarteilchen des Universums sowohl das Proton, Neutron und Elektron als auch u. a. die hypothetischen Axionen, Neutrinos, Quarks und WIMPs, d.h. «weakly interacting massive particles» oder schwach wechselwirkende massereiche Teilchen. Vgl. ebd., S. 195. Übrigens sind die Kräftekategorien des Universums die vier folgenden: Die Gravitation, die elektromagnetische Kraft, die schwache Kernkraft und die starke Kernkraft. Vgl. ders., Eine kurze Geschichte…, S. 95-99. Andere Wissenschaftler unterscheiden nur zwischen Schwer- und elektromagnetischen Kräften im Allgemeinen.

 

[7] Ders. Einsteins Traum. Expeditionen an die Grenzen der Raumzeit (Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1993), S. 147-148.

 

[8] Hawking fragt sich eigentlich nach dem „origin“, „fate“ und „future“ des Universums, d.h. nach seinem physikalischen Ursprung, Schicksal und nach seiner Zukunft. Er fragt sich philosophisch im engsten Sinne weder nach dem Werden geschaffener Welt noch nach dem letzten Zweck der Welt. Vgl. ders., Eine kurze Geschichte…, S. 147 ff. Vgl. ders., Einsteins Traum…, S. 141 ff. Hawkings Wort „create” soll in keinem engsten Sinne gedeutet werden.

 

[9] Vgl. ders., Eine kurze Geschichte…, S. 66.

 

[10] Vgl. ebd., S. 155-156. Vgl. ders., Einsteins Traum…, S. 95.

 

[11] Ebd.

 

[12] Vgl. ders., Eine kurze Geschichte…, S. 161. Der Ausdruck „create” kann im übertragenen Sinne aufgefasst werden, da die Urknalltheorie schon die Existenz eines Uratoms voraussetzt.

 

[13] Vgl. ders., Einsteins Traum…, S. 96. Vgl. ders., Eine kurze Geschichte…, S. 217.

 

[14] «However, if we do discover a complete theory, it should in time be understandable in broad principle by everyone, not just a few scientists. Then we shall all, philosophers, scientists, and just ordinary people, be able to take part in the discussion of the question of why it is that we and the universe exist». Vgl. ebd., S. 218.

 

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