top of page

1.1 Substantielles Sein,

Kausalität und Bewegung

gemäß „De principiis naturae

(geschrieben 1256)

 

Welche sind die Grundprinzipien der Wirklichkeit? Laut Thomas sind sie die drei folgenden: Materie, Form und Mangel (Entbehrung, „privatio“). Die metaphysischen Grundprinzipien unterscheiden sich von den physischen Elementen und von den Unsachen, denn die Prinzipien sind in gewisser Weise grundlegender als die Ursachen und diese letzteren sind wichtiger als die Elemente. Diesbezüglich schreibt Thomas zitierend Ibn Ruschd und aus Aristoteles’ Metaphysik:

 

«Patet igitur ex dictis quod principium aliquomodo est in plus quam causa, et causa in plus quam elementum ; et hoc est quod dicit COMMENTATOR in V Metaphysicae».[1] «Unde ARISTOTELES in V Methaphysicae dicit quod “ elementum est id ex quo componitur res primo, et est in ea, et non dividitur secundum formam ”».[2]

 

Obwohl es verschiedene Meinungen zur Zahl der physischen Elemente gibt, sind das Gewicht und die Masse gemäß zeitgenössischen Theorien die Grundkriterien der Klassifizierung der physischen Elemente. Während der Bewegungen verändern die physischen Elemente und tauschen sich interaktiv aus. Außerdem gibt es vier Ursachen und drei Prinzipien der Wirklichkeit. Die vier Ursachen bestimmen zwar ihrerseits bei den vier Veränderungsarten mit, aber ihre metaphysische Erklärung ist abhängig von den Prinzipien, d.h. von der Materie, Form und Mangel („privatio“).

 

Materie und Form gelten jeweils als Potenz und Akt, d.h. als bestimmbares Wirkvermögen und bestimmender Wirkvollzug.[3] Thomas zufolge kann die Materie einerseits entweder „ex qua“ oder „in qua“ sein, andererseits kann die Form entweder „substantialis“ oder „accidentalis“ sein. Thomas präzisiert besagte Begriffe folgendermaßen:

 

«Sed in hoc differunt, quia materia quae est in potentia ad esse subtstantiale, dicitur materia ex qua ; quae autem est in potentia ad esse accidentale, dicitur materia in qua».[4] «Quod autem facit actu esse substantiale, dicitur forma substantialis, et quod facit actu esse accidentale, dicitur forma accidentalis».[5]

 

Außerdem gibt es zwei Werdensarten, die den zwei folgenden Formarten entsprechen: Die „generatio simpliciter“ hängt mit der substantiellen Form zusammen und die „generatio secundum quid“ mit der akzidentellen Form. Die zwei gegensätzlichen Vergehensarten, die den zwei oben erwähnten Werdensarten entsprechen, sind die folgenden: Die „corruptio simpliciter“ und die „corruptio secundum quid“. Dazu setzt Thomas folgendes hinzu:

 

«Ad hoc ergo quod sit generatio, tria riquiruntur : scilicet ens potentia, quod est materia ; et non esse actu, quod est privatio ; et id per quod fit actu, scilicet forma».[6] «Illud autem ex quo est generatio, est materia ; illud vero ad quod est, est forma».[7]

 

Nach Thomas ist das Werden im engsten Sinne eine Eigenschaft des „compositi“,[8] d.h. des durch Materie und Form gebildeten Seienden. Also gibt es eigentlich weder Werden noch Vergehen der Materie und Form, denn sie sind zwar metaphysische komplementäre Mitprinzipien des Seienden,[9] aber sie sind tatsächlich keine selbstbestehenden Seienden. Laut Thomas stammt das Werden aus der Materie (id ex quo) und die Form ist der Zweck (id ad quod) des Werdens. Infolgedessen kann die Materie als „terminus a quo“ oder Ausgangszustand der substantiellen Bewegung gelten und die Form gilt als „terminus ad quem“ oder Zielzustand des Werdens. Das durch Materie und Form gebildete Seiende ist der Träger der Bewegung und zugrundeliegender Substrat (u(pokeime/non) nachheriger Veränderungen.

 

Obwohl Materie und Mangel zum Teil verschieden sind, sind sie auch zum Teil ähnlich, denn die beiden Prinzipien sind totale Unbestimmung und völlige Bestimmbarkeit. Ihre Identität ist zwar real und physisch in demselben Seienden, aber ihre Differenz ist nur logisch und akzidentell. Deswegen ist der Mangel ein „principium per accidens“.[10] Dagegen sind Materie und Form „principia per se“. Grundprinzipien der Wirklichkeit sind sowohl die „principia per se“ als auch das „principium per accidens“. Dennoch fehlt es noch etwas, damit es Werden geben kann. Es ist unbedingt nötig ein aktives Prinzip des Seinshandelns, d.h. ein Bewegungsprinzip, das im Kausalitätsgesetzt besteht.[11]

 

Während die Stoff- und Formursachen jeweils aus der Materie und Form stammen, gelten die Wirk- und Zielursachen jeweils als „agens“ und „finis“. Thomas nennt die Wirkursache auch „efficiens“, „movens“ und „principium motus“.[12] Dazu setzt er folgendes hinzu:

 

«Licet autem principium et causa dicantur quasi convertibiliter[...]. Causas autem accipit tam pro extrinsecis quam pro intrinsecis. Materia et forma dicuntur intrinsecae rei, eo quod sunt partes constituentes rem ; efficiens et finalis dicuntur extrinsecae, quia sunt extra rem. Sed principia accipit solum causas intrinsecas. Privatio autem non nominatur inter casusas, quia est principium per accidens[...]».[13]

 

Die Stoff- und Formursachen sind gegenseitig relativ und gleichursprünglich, weil sich die Materie- und Formprinzipien gegenseitig ergänzen und ständig zusammenbleiben. Einerseits ist die Materie in gewissem Sinn Ursache der Form, da die Form nur in der Materie existiert. Andererseits ist die Form in gewisser Weise Ursache der Materie, denn die Potentialität dieser letzteren wird von der Form aktualisiert. Dennoch wird das verursachende Wirken, das jeweils sowohl der Form und Materie als auch dem „agenti“ entspricht, aufgrund eines Zwecks verwirklicht. Aus diesem Grund schließt Thomas folgendes:

 

«Unde finis est causa causalitatis efficientis, quia facit efficiens esse efficiens ; et similiter facit materiam esse materiam et formam esse formam, cum materia non suscipiat forman nisi propter finem, et forma non perficiat materiam nisi propter finem. Unde dicitur quod finis est causa causarum, quia est causa causalitatis in omnibus causas».[14]

 

Während des Werdens können die drei folgenden Ursachen zusammenfließen, weil sie die Potenz aktualisieren: Form-, Wirk- und Zielursachen. Infolgedessen unterscheidet sich die Stoffursache aufgrund ihrer Potentialität von den anderen drei Ursachen, denn das Handeln dieser letzteren gilt als Wirken des Akts, d.h. als formal aktives Bestimmungsprinzip der bestimmbaren Materie. Also sind die vier Ursachen eine Entfaltung der Materie- und Formprinzipien, deren Lehre implizit die Kausalitätstheorie einschließt.

 

Thomas zufolge kann jede Ursache folgendermaßen aufgefasst werden: Entweder „propinqua“ oder „remota“; entweder „per se“ oder „per accidens“; entweder „simplex“ oder „composita“; entweder „in actu“ oder „in potentia“.[15] Dieses letztere Begriffspaar wiederholt dieselbe Terminologie, die den Grundprinzipien der Wirklichkeit entspricht.

 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Grundprinzipien der Wirklichkeit die drei folgenden sind: Mangel, Materie und Form. Übrigens können die zwei letzteren jeweils „potentia“ und „actus“ genannt werden. Sie sind Grundprinzipien der Substanz und der neun anderen Kategorien, die „accidentia“ heißen. Die Thomanische Erklärung der Kausalität bringt die vier Ursachen in Zusammenhang mit den Grundprinzipien der Wirklichkeit. Thomas erreicht allgemein eine kohärente Fragestellung der Veränderung (ki/nhsij) und insbesondere der substantiellen Bewegung entsprechend dem Werden, dessen philosophische Folgen bezüglich der theologischen Schöpfungslehre metaphysisch im Folgenden in Erwägung gezogen werden.

 

 

 

 

[1] AQUIN, Thomas von, De principiis naturae (Société Philosophique/ Nauwelaerts, Fribourg/ Leuven1950), S. 93, K. 1II, Z. 4-7.

 

[2] Ebd., S. 92, K. 1II, Z. 1-3. Aristoteles schreibt folgendes: «Stoixei=on le/getai e)c ou(= su/gkeitai prw/tou e)nupa/rxontoj a)diaire/tou t%= ei)/dei ei)j e(/teron ei)=doj[…]». ARISTOTELES, Metaphysica = Ta/ meta\ ta\ fusika/ (Oxonii, Oxford 1960), D, 1014a, Z. 26-27.

 

[3] Vgl. CORETH, Emerich, Metaphysik. Eine methodisch-systematische Grundlegung (Tyrolia, Innsbruck/ Wien 1980), S. 230 ff.

 

[4] AQUIN, Thomas von, De principiis…, S. 79, K. 1, Z. 12-13 und S. 80, K. 1, Z. I.

 

[5] Ebd., S. 81, K. 1, Z. 1-3.

 

[6] Ebd., S. 82, K. 1, Z. 3-5.

 

[7] Ebd., S. 85, K. 1I, Z. 20 und S. 86, K. 1I, Z. I.

 

[8] Vgl. ebd., S. 86, K. 1I, Z. 3.

 

[9] Diesbezüglich schreibt Thomas zitierend aus der Physik Aristoteles’ folgendes: «Materia enim et forma dicuntur relative ad invicem, ut dicitur in II Physicorum». Ebd., S. 94, K. 1V, Z. 22 und S. 95, K. 1V, Z. I. Aristoteles schreibt folgendes: «e)pei\ d’ h( fu/sij dixw=j, to/ te ei=doj kai\ h( u(/lh, w(j a)/n ei) peri\ simo/thtoj skopoi=men ti/ e)stin[…]». ARISTOTELES, Physica…, B, 194a, Z. 12-13. «e)n me\n ou)=n toi=j kata\ te/xnhn h(mei=j poiou=men th\n u(/lhn tou= e)/rgou e(/neka, e)n de\ toi=j fusikoi=j u(pa/rxei ou)=sa. e)/ti tw=n pro/j ti h( u(/lh! a)/ll% ga\r ei)/dei a)/llh u(/lh». Ebd., B, 194b, Z. 7-9.

 

[10] Vgl. AQUIN, Thomas von, De principiis…, S. 82, K. 1I, Z. 20 und S. 83, K. 1I, Z. 7.

 

[11] Coreth schließt das Kausalitätsprinzip innerhalb der Seinsgesetze ein; zu den auch die Identitäts-, Widerspruchs-, und Finalitätsprinzipien gehören. Vgl. CORETH, Emerich, Metaphysik…, S. 237 ff. Scholastiker nannten sie „erste Sätze“ oder theoretische „prima principia“, die ihrerseits von den praktischen „primis principiis“ unterschieden wurden. Die folgenden Prinzipen sind Beispiele dafür: „Bonum est quod omnia appetunt” und „bonum est faciendum et prosequendum, et malum vitandum”.

 

[12] Vgl. AQUIN, Thomas von, De principiis…, S. 87, K. 1II, Z. 11-12.

 

[13] Ebd., S. 89, K. 1II, Z. 10-11.13 und S. 90, K. 1II, Z. 1-5.

 

[14] Ebd., S. 94, K. 1V, Z. 14-19.

 

[15] Vgl. ebd., S. 99, K. V, Z. 6-7.17; S. 100, K. V, Z. 7-8.11; S. 101, K. V, Z. 1-2.

bottom of page