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1.2 Substantielle Bewegung als Schöpfung

gemäß „De aeternitate mundi

contra murmurantes“

(geschrieben 1272)

 

1.2.1 Vorherige Erläuterungen

 

Obwohl die Schöpfungslehre einen theologischen Ursprung hat, kann sie z. T. auch philosophisch betrachtet werden. Besagte philosophische Betrachtung ist möglich, wenn man die Schöpfung als Werden auffasst, d.h. als substantielle Bewegung. Andere philosophische Perspektiven, die auch hinsichtlich der Schöpfungslehre möglich sind, sind die folgenden: Die kritische Erwägung der Wirk- und Zielursachen des Werdens des Weltalls, die Frage nach der Formursache und nach einer polemischen Stoffursache (materia prima) der Schöpfung, das Verhältnis der Zeit und des Raums mit dem Werdens des Universums, der paradoxe Zusammenhang zwischen der philosophischen Theorie über die Weltewigkeit und der theologischen Schöpfungslehre u. a.

 

Einzig und allein gewinnt diese letztere Perspektive mein Interesse für das philosophische Paradoxon bei der Schöpfung und der theoretischen Weltewigkeit. Außerdem beschränkt sich mein Aufsatz ausschließlich auf die Forschung des bekannten Thomanischen Opuskulums „De aeternitate mundi“ und versucht eine philosophische Fragestellung des oben erwähnten paradoxen Problems. Also schließt dieser Versuch aus, Gebrauch von theologischen Argumenten zu machen. Seinerseits erkennt Thomas folgendermaßen die vernünftigen Grenzen des Glaubens und der theologischen Argumentation an:

 

«RESPONDEO dincendum quod mundum non semper fuisse, sola fide tenetur, et demonstrative probari non potest [...]. Et hoc utile est ut consideretur, ne forte aliquis, quod fidei est demonstrare praesumens, rationes non necesarias inducat, quae praebeant materiam irridendi infidelibus, existimantibus nos propter hujusmodi rationes credere quae fidei sunt».[1]

 

Die Thomanische Philosophie setzt zwar die kohärente Glaubhaftigkeit der theologischen Schöpfungslehre voraus, aber Thomas fordert überhaupt keinen definitiv glatten Beweis des zeitlichen Anfangs des Weltalls, denn das ist gewiss unbeweisbar. Infolgedessen soll die theologische Argumentation des Aquinaten innerhalb dieser epistemologischen Grenzen gedeutet werden.[2]

 

In diesem Zusammenhang stellt Thomas philosophische Betrachtungen über die Verbindung zwischen der zeitlosen Schöpfung und der Ewigkeit der Welt an, d.h. über die vernünftige Kohärenz der philosophischen Argumentation zugunsten eines zeitlos „seit“ der Ewigkeit geschaffenen Weltalls. Tatsächlich ist der durch gewisse Denker vermutliche zeitliche Schöpfungsanfang keine unbedingt nötige Möglichkeitsbedingung für die philosophische Erklärung des Weltwerdens. Das zeitlose Werden der geschaffenen Welt setzt zwar ein schaffendes Prinzip als Wirkursache voraus, aber keinen zeitlichen Anfang.

 

Im engsten Sinne kann der Thomanische Ausdruck „aeternitas mundi“ eher wie Zeitlosigkeit der Weltschöpfung als eigentlich wie Ewigkeit der Welt gedeutet werden. Boëthius definiert die Ewigkeit folgendermaßen: «Aeternitas igitur est interminabilis uitae tota simul et perfecta possessio».[3] Diese Gotteseigenschaft wird analog von Thomas der Welt zugeschrieben, insofern die Weltschöpfung zeitlos ist. D.h. die Zeitlosigkeit kann zwar eigentlich der Weltschöpfung zugeschrieben werden, aber nicht direkt der Welt selbst im engsten Sinne aufgrund des in ihrer zeit-räumlichen Dauer impliziten Zeitflusses. Außerdem wird das Wort „vitae” analog von Boëthius gebraucht, denn es hat zum Teil eine verschiedene Bedeutung hinsichtlich seiner Zuschreibung der Kreaturen oder dem Schöpfer. Nach den oben erwänten Erläuterungen wird die Argumentation des Aquinaten im Folgenden kurz dargestellt.

 

 

 

 

[1] Ders., Summa theologica (Anton Pustet, Salzburg /Leipzig 19362), S. 63-64, I, q. 46, a. 2.

 

[2] Z.B.: Die theologischen Argumente zugunsten des zeitlichen Anfangs der Schöpfung, die Thomas in den folgenden Texten entwickelt: a) Summa contra gentiles (Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1982), S. 104-142, B. II, K. 31-38, b) und Summa theologica…, S. 50-70, I, q. 46, a. 1-3. Das 38. Kapitel der Summa contra gentiles handelt von den Argumenten gegen die Ewigkeit der Welt. Die drei folgenden Fragen werden von Thomas in der Summa theologica gestellt: Ist die Gesamtheit der Geschöpfe immer gewesen? Ist es ein Glaubenssatz, dass die Welt angefangen habe? War die Erschaffung der Dinge im Anfang der Zeit?

 

[3] BOËTHIUS, Anicius Manlius, Philosophiae consolatio (Turnhout, Brepols 1984), S. 102, Z. 8-9, B. V, 6, 4.

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