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4. POSTDISKURSIVER BEITRAG ZUR DEUTUNG DER KOMMUNIKATIVEN INTERAKTION DES MENSCHLICHEN BEWUSSTSEINS

 

 

Jenseits der Diskurstheorie, die kohärent mit Hilfe des ›weichen‹ Naturalismus und nachmetaphysischen Denkens ja die Schwierigkeiten des Szientismus und der Transzendentalisierung überwinden und plausibel ihre Einwände widerlegen kann, besteht der postdiskursive Beitrag des letzten Kapitels dieser Dissertation in der thematischen Spezifizierung des materialen Inhalts der Ethik im Rahmen des Engagements für die Opfer zwecks der Verbesserung der Bedingungen ihres Lebens im Hinblick auf die Förderung ihrer kritisch ethischen Bewusstwerdung, im Einschluss der Opfer in die formalen Kommunikationsvorgänge und außerdem in der Umwandlung des Habermas’schen Faktizitätsbegriffs in Durchführbarkeit mittels der effizienten Anwendung der Theorie auf die Befreiungspraxis der Opfer. Von besagtem Inhalt, Einschluss und solcher Durchführbarkeit ausgehend lässt sich die Diskurstheorie ergänzen und diese drei Begriffe spezifizieren in Anlehnung an den philosophischen Ansatz von Enrique Dussel aus Lateinamerika die Bedeutung des Worts „postdiskursiv“.

 

In diesem Sinne impliziert besagtes Adjektiv drei Voraussetzungen, mit denen etwas Materiales, Formales und Durchführbares gemeint wird, nämlich das solidarische Engagement für die Opfer zugunsten der menschlichen Entwicklung ihres Lebens, die einschließende Kommunikation mit den durch irgendein System Ausgeschlossenen und die Durchführbarkeitsstufen der umwandlungsorientierten Befreiungspraxis in Anbetracht ihrer 1) logischen, 2) empirischen, 3) technischen, technologischen,[1] 4) wirtschaftlichen bzw. ökonomischen, 5) wirklich und tatsächlich wirksamen, 6) im Hinblick auf ihre Folgen kurz-, mittel- und langfristigen,[2] 7) ethischen, 8) politischen und gesetzlichen bzw. legalen Möglichkeiten.[3]

 

Gegen den Szientismus wendet der ›weiche‹ Naturalismus Habermas’ seinen epiphänomenalistischen Reduktionismus ein und das nachmetaphysische Denken erhebt Einwände gegen die Transzendentalisierung aufgrund der Voraussetzungen ihrer subjektfreundlichen Bewusstseinsphilosophie. Auf der einen Seite reduziert der Szientismus auf reine Epiphänomene den Gesichtspunkt des Naturalismus und auf der anderen Seite wird das Bewusstsein mangels seiner intersubjektiven Vergesellschaftung subjektiv in Kantischem Sinn transzendentalisiert. Aus diesem Grund schränkt der Epiphänomenalismus die naturalistische Anschauung der Neurophilosophie ein und schreibt einzig und allein dem Gehirn, dem es an Intersubjektivität und Wechselwirkung zum transzendentalisierten Bewusstsein mangelt, den Ursprung besagter Epiphänomene zu. In diesem Sinne kann man mit der folgenden Paraphrase einen bekannten Ausdruck Kants umschreiben: Ohne die Wechselwirkung zum Gehirn ist das Bewusstsein leer und das Gehirn ist ohne die kommunikative Interaktion des Bewusstseins blind.[4] In diesem Zusammenhang kann man einräumen, dass der Naturalismus wegen des kurzsichtigen Gesichtspunkts des Szientismus teilweise blind wird und dass die subjektive Transzendentalisierung des Bewusstseins mangels intersubjektiver Vergesellschaftung leer ist.

 

Zur oben erwähnten Kritik am Szientismus und an der Transzendentalisierung lassen sich drei postdiskursive Ergänzungen, die mit Hilfe der drei Aspekte des Wahrheitsbegriffs systematisiert werden, zur Diskursethik hinzufügen. Daraus folgt, dass der materiale, formale und im semiotischen Sinne pragmatische Aspekt des Wahrheitsbegriffs jeweils etwas mit dem materialen Inhalt der Ethik zugunsten des Lebens aller Opfer des Ausschlusses (1), mit dem Einschluss der Opfer als Betroffener, Beteiligter bzw. kompetenter Gesprächspartner in die formalen Kommunikationsvorgänge (2) und mit der effizienten Durchführung der Befreiungspraxis der Ausgeschlossenen zu tun hat (3). Im Lichte dieser drei Aspekte der Wahrheit lässt sich das Thema der kommunikativen Interaktion des menschlichen Bewusstseins in Zusammenhang mit der Befreiungsphilosophie von E. Dussel aus einer postdiskursiven Perspektive deuten.

 

 

 

 

[1] Ausdrücklich gebraucht Dussel das Adjektiv „tecnológica“ bzw. „technologisch“. Vgl. DUSSEL, Enrique, Prinzip Befreiung. Kurzer Aufriss einer kritischen und materialen Ethik (Mainz, Aachen 2000), S. 69-70. Vgl. ders., Ética de la liberación en la edad de la globalización y de la exclusión (Trotta, Madrid 20096), S. 267 § [192].

 

[2] Dussel gebraucht manchmal den Begriff „mittelfristig“. Vgl. ders., La ética de la liberación ante el desafío de Apel, Taylor y Vattimo. Con respuesta crítica inédita de K.-O. Apel (UAEM, Mexiko 1998), S. 29. Vgl. ders., Materiales para una política de la liberación (UANL/Plaza y Valdés, Mexiko 2007), S. 205. Vgl. ders., Política de la liberación. Arquitectónica (Trotta, Madrid 2009), Bd. II, S. 462.471 § [410.414].

 

[3] Vgl. ders., Prinzip Befreiung…, S. 67-68. Vgl. ders., Ética de la liberación en la edad..., S. 265 § [189].

 

[4] Paraphrase aus der Transzendentalen Logik Kants. «Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind». KANT, Immanuel, Werke. Kritik der reinen Vernunft, B 76-77 A 52 (Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 20056), Bd. II, S. 98.

 

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