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4.3.3 Ethischer Zweck

 

 

Nach der Grundlegung des Anspruchs auf Güte lässt sich die Frage nach dem Verhältnis vom Sollen als ethischer Pflicht zum Tun als moralischem Handeln insoweit folgendermaßen stellen, als besagtes Verhältnis dem Können als Brücke und Vermittlung zwischen den Tatsachen und Pflichten und zwischen Pflichten und Handlungen entspringt: Soll man das Undurchführbare tun? Darauf kann man negativ antworten, weil die Forderung des Unmöglichen moralisch und ethisch ungerecht ist. Aus diesem Grund muss man auch nicht das Undurchführbare tun, obgleich man es mögen könnte und jemand es tun möchte. Daher soll man auf gar keinen Fall dem Gewissen eine undurchführbare Pflicht zuschreiben, deren effiziente Durchführung natürlich unmöglich ist. Deswegen ist das menschliche Bewusstsein moralisch und ethisch ungerecht, wenn sich seine kommunikative Interaktion zu einer Verständigung orientiert, deren effiziente Durchführung im Alltagsleben tatsächlich unmöglich ist. Dafür sind klare Beispiele der konservative Rigorismus, die Illusionen des Utopismus, und der Anarchismus extremer Rechte und extremer Linke, die oft verantwortungslos sind, weil sie das menschliche Leben der Opfer in Gefahr bringen.

 

Mit dem strategischen, politischen Durchführbarkeitsprinzip verteidigt Dussel die Effizienz seines kritischen, normativen Realismus, dessen Grundgedanke lautet: Dasjenige, das jemand tun soll, muss er effizient tun, wie gesagt.[1] Von diesem Standpunkt aus distanziert sich Dussel sowohl von der moralistischen Illusion als auch von der normativen Position des Rigorismus, die jeweils die folgenden Gesinnungen vertreten: ›Niemand muss etwas tun, was er nicht tun darf‹ –zum einen– und ›niemand darf etwas tun, was er nicht tun muss‹ –zum anderen–. Bei rechtem Licht betrachtet, kann man die Position Dussels mit dem folgenden Verbot ergänzen, dessen Inhalt befreiend wirkt: Niemand soll etwas tun, was er nicht tun kann. D.h. positiv formuliert: Man soll etwas tun, was man tun kann. Wenn die Ethik und Politik dieses bescheidene Ziel bezwecken, erfüllt die Detranszendentalisierung bzw. Vergesellschaftung der Metaphysik mit Hilfe der formalen Vorgänge der kommunikativen Interaktion des menschlichen Bewusstseins, das nach der Erreichung der Verständigung noch ihre Anwendung auf das Alltagsleben mittels effizienter Strategien und Instrumente durchführen soll, ihren Zweck. Wenn die achte, legale Durchführbarkeitsstufe unmöglich ist, genügt die Normativität der siebten, ethischen Stufe wenigstens den Anforderungen der richtigen und guten Orientierung der Handlungen.

 

Obgleich sich Habermas und Dussel mit verschiedenen Auffassungen der Begriffe „Moral“ und „Ethik“ auseinandersetzen, setzen sie implizit einen gemeinsamen Hintergrund voraus, nämlich die Auffassung der Ethik als Denkart und der Moral als Lebensstils. Im Vergleich zur Diskurs- und Befreiungsethik, die philosophisch betrachtete Ansprüche erheben, –nämlich formalen Geltungsanspruch auf wahre, wahrhaftige und verständliche Richtigkeit bei Habermas und materialen, formalen und durchführbaren Anspruch auf Güte bei Dussel–, lässt sich die Moral als Lebensstil und Erlebnis besagter Ansprüche im Alltagsleben bei Habermas und als Lebensstil des Herrschaftssystems bei Dussel auffassen.

 

Unter diesem Gesichtspunkt haben das Verb „sollen“ eine ethische Konnotation und das Verb „müssen“ insofern eine moralische Konnotation, als das Sollen mit den ethischen, durchführbaren Pflichten und das Müssen mit dem Tun bzw. der Durchführung des moralischen Handelns jeweils im Zusammenhang stehen. Im Hinblick auf die effiziente Durchführung der Moral als Sittlichkeit sollen das Moralbewusstsein nach Art von Habermas und das Gewissen nach Art von Dussel in Wechselwirkung zu den verschieden Realitätsdimensionen der inneren, äußeren Natur, der sozialen Welt und der Sprache stehen und innerhalb einer Lebensgemeinschaft mit Hilfe von formalen Kommunikationsvorgängen interagieren, während deren das Moralbewusstsein und Gewissen die effiziente Durchführung der Verständigungen in Erwägung ziehen. Auf diese Weise lässt sich weder die Rolle der kommunikativen Vernunftfähigkeit durch die Rolle der instrumentellen und strategischen Vernunftfähigkeit im Laufe der Vorgänge der kommunikativen Interaktion des menschlichen Bewusstseins ersetzen noch umgekehrt.

 

 

 

 

[1] Anders gesagt: Dasjenige, das getan werden soll, ist effizient zu tun. Auf Spanisch schreibt Dussel folgendes: «Lo que se debe hay que hacerlo eficazmente». Ebd., Bd. II, S. 470 § [414].

 

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