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4.3.1 Mit den Opfern solidarische, kommunikative Interaktion

des menschlichen Bewusstseins

 

Mit Habermas ist Dussel einer Meinung, dass die kommunikative Interaktion des menschlichen Bewusstseins ein gemeinschaftlicher Vergesellschaftungsprozess ist und von den allgemeinen, intersubjektiven Voraussetzungen der Kommunikation ermöglicht wird. Jenseits des Habermas’schen Formalismus identifiziert sich Dussel mit den Opfern, aus deren Perspektive sich die Betroffenen selbst kritisch gegenüber dem Herrschaftssystem für die formal aus den Gesprächsvorgängen Ausgeschlossenen halten. Von diesem Standpunkt aus schreibt Dussel folgendes:

 

«Das gemeinschaftliche Projekt des ethisch kritischen Bewusstsein wird zunächst von der eigenen Subjektivität des Opfers erfüllt (monologischer Ursprung der immer gemeinschaftlich konzipierten „concientização“ à la Paulo Freire), ausgehend vom intersubjektiven Horizont der Opfer, des historisch-sozialen Subjekts, des unterdrückten und ausgegrenzten Volkes».[1]

 

Auf Spanisch gebraucht Dussel das Substantiv „proceso“ anstelle des Ausdrucks „Projekt“ und dem deutschen Wort „Bewusstsein“ fehlt der Buchstabe „s“ des Genitivs im oben zitierten Text. An dieser Stelle gilt die Subjektivität jedes Opfers als Ursprung der Bewusstseinsbildung, die ein gemeinschaftsfreundlicher Prozess ist, während die Gewissensausbildung als ethisches Ziel besagten Prozesses gilt. Demnach fasst Dussel den philosophischen Begriff „Bewusstsein“ nicht nur als selbstreferentielle Kognition auf, sondern auch als absichtlichen Bezug zur dialogischen Wechselwirkung, die teleologisch zur Handlung und Praxis neigt. Auf diese Weise ergänzt Dussel die Habermas’sche Auffassung des Bewusstseins, die ziemlich formal ist, aus der Perspektive der philosophischen Auseinandersetzung mit der Durchführbarkeit der Ethik und Politik und mit ihrem materialen Inhalt. Daher subsumiert Dussel in seinem Ansatz die formalen Geltungsansprüche auf Richtigkeit und Verständlichkeit, die die interaktiven Kommunikationsvorgänge des menschlichen Bewusstseins bei Habermas voraussetzen, betont seinerseits den materialen Inhalt des Geltungsanspruchs auf Wahrheit und thematisiert den Anspruch auf Durchführbarkeit.

 

Folglich erwirbt die kommunikative Interaktion des menschlichen Bewusstseins thematisch einen objektiven Bezug auf den materialen Inhalt der Wahrheit, der letztendlich im Zusammenhang mit der äußeren Natur bzw. der objektiven Welt steht, und einen praktischen Zweck im Hinblick auf die effiziente Durchführung der Verständigungen mittels der strategischen, instrumentellen Vernunftfähigkeit. Unter diesem Gesichtspunkt lässt sich der im semiotischen Sinne pragmatische Wahrheitsaspekt als Zweck der materialen und formalen Wahrheitsaspekte in Erwägung ziehen, d.h. die Praxis ist ein Ziel des materialen Wahrheitsinhalts und jeder formalen Verständigung, auf die die interaktiven Kommunikationsvorgänge des menschlichen Bewusstseins zielen. Im Rahmen besagter Interaktion lässt sich der Geltungsanspruch auf Wahrhaftigkeit; deren entsprechende, innere Natur bzw. subjektive Welt bereits bei Habermas subjektivistische, monologische und rein kognitive Denotationen verloren hat; auch innerhalb des Horizonts der ethischen und politischen Befreiungspraxis subsumieren, denn die Wahrhaftigkeit leistet ihren Beitrag zur Berücksichtigung der subjektiven Konnotationen des objektiven Wahrheitsinhalts.

 

In diesem Sinne kann die kommunikative Interaktion des Bewusstseins auf den Sinnhorizont der Lebenswelt jedes Gesprächspartners im Allgemeinen und jedes Opfers im Besonderen aufmerksam bleiben, da viele Motivationen der Beteiligten und Betroffenen besagtem Sinnhorizont entspringen und freilich ihr solidarisches Engagement für die Ausgeschlossenen zur Durchführung der Verständigungen ermuntern. Wie kann man logischerweise den Übergang von der Interaktion des Bewusstseins zum Engagement des Gewissens rechtfertigen? Darauf antwortet der nächste Abschnitt im Anschluss.

 

 

 

 

[1] Ders., Prinzip Befreiung..., S. 133. Vgl. ders., Ética de la liberación en la edad..., S. 464-465 § [328].

 

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