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2.2.2 System der Ich-Abgrenzungen und Universalpragmatik

 

 

Nachdem Habermas das System der Ich-Abgrenzungen eingeführt hat, soll er noch rechtfertigen, ob ihre entsprechenden Strukturen mit den sprachlichen Elementen der Universalpragmatik vereinbar sind. Zu diesem Zweck nimmt er auf die Grundbegriffe und Voraussetzungen der Universalpragmatik Bezug und fasst sie folgendermaßen zusammen: Bezüglich der Sprechakte, die elementare Einheiten der Rede sind, beschränkt sich die Universalpragmatik auf schriftliche und mündliche Sprechhandlungen.

 

Wegen ihrer illokutiven Kraft können Sprechakte insoweit, als sie interpersonale Beziehungen herstellen, den Sprecher und Hörer zu einem wahrhaftig ernsten Handlungsengagement bewegen. Aufgrund der Abstraktion des Aussageinhalts gestattet die Sprache, denselben propositionalen Gehalt auszudrücken, obwohl sich die verschiedenen Typen von Sprechhandlungen verändern. Der thematische Unterschied zwischen dem kommunikativen und kognitiven Sprachgebrauch, der eine Unterscheidung von zwei Kommunikationsebenen –nämlich der Ebene der verständigungsorientierten Intersubjektivität und der Ebene der Objektivität über die Entitäten der Welt– impliziert, ist eine notwendige Bedingung für das kommunikative Gelingen eines hervorgebrachten Sprechakts.

 

In den oben erwähnten Grundbegriffen lässt sich der sprachliche Ursprung der folgenden Voraussetzungen explizit thematisieren: Wenn das sprachliche Handeln der Sprecher und Hörer glaubwürdig ist, verbürgt ihre expressive Wahrhaftigkeit die transparente Intention ihrer selbstdarstellenden Subjektivität. Während der Herstellung von interpersonalen Beziehungen sollen die Gesprächspartner gegenseitig wegen der illokutiven Kraft ihrer interaktiven Sprechhandlungen ihren Geltungsanspruch auf Richtigkeit bzw. Angemessenheit des sozialen Hintergrunds von Normen und Werten anerkennen.

 

Im kognitiven Sprachgebrauch, der sprachlich auf die äußere Natur Bezug nimmt, erscheint eine Objektivitätsform mit propositionalen Wahrheitsinhalten. Und soweit die Intersubjektivität anhand des kommunikativen Sprachgebrauchs nach der Verständigung strebt, wird ein universaler Anspruch auf Verständlichkeit vorausgesetzt. In jeder Sprechhandlung lassen sich diese Geltungsansprüche als allgemeine Voraussetzungen der Kommunikation implizit erheben und spielen die Rolle allgemeiner Bedingungen für eine mögliche Verständigung. Mit diesen Grundbegriffen und ihren Voraussetzungen wird gerechtfertigt, dass die begrifflichen Strukturen der Ich-Abgrenzungen mit dem sprachlichen Ursprung universalpragmatischer Fachbegriffe im Einklang stehen.

 

Zusätzlich kann man die Rechtfertigung dieser Vereinbarkeit anhand der drei folgenden Hinweise vertiefen: a) Abgesehen vom Unterschied zwischen der objektiven und intersubjektiven Kommunikationsebene hängt der Vollzug eines hervorgebrachten Sprechakts von anderen notwendigen Bedingungen ab, wonach die vier universalen Geltungsansprüche gleichzeitig und wenigstens implizit in Zusammenhang mit ihren jeweiligen Realitätsdimensionen erhebt werden sollen, d.h. die subjektive Wahrhaftigkeit in Zusammenhang mit der inneren Natur, die normative Richtigkeit mit der sozialen Welt, die objektive Wahrheit mit der äußeren Natur und die intersubjektive Verständlichkeit mit der Sprache.

 

b) Im Verhältnis zu den Realitätsdimensionen bietet jede Einzelsprache universale Eigenschaften, die sich im engsten Sinne für sprachliche Universalien halten lassen und die folgenden Sprachsystemen gestalten.[1] In jeder Einzelsprache kann man ebenso sehr über ein semiotisches System intentionaler Ausdrücke und über ein syntaktisches System von Regeln und Personalpronomina wie über ein semantisches Bezugsystem und über ein pragmatisches System sprachlicher Zeichen, die eine Bedeutungsfunktion haben, verfügen. Demnach gestattet das semiotische System trotz der subjektiven Konnotationen sowohl der Intentionen als auch jeder Einzelsprache die Entfaltung der Selbstdarstellungsfähigkeit als allgemeine Struktur gegenüber dem System der Ich-Abgrenzungen und im Austausch der inneren Welt des interaktiv handelnden Ich mit seiner Umwelt. Seinerseits stellt das syntaktische System innerhalb einer sozialen Welt bzw. Gesellschaft die Weichen für die Herstellung interpersonaler Beziehungen, die sich sogar gemäß bestimmten Normen organisieren lassen. Solange das semantische System eine Bezugnahme auf etwas Objektives in der äußeren Welt ermöglicht, verhilft die pragmatische Sprachfunktion ihrerseits zur Verständigung derjenigen, die mit Hilfe der Sprache eine intersubjektive Welt aufbauen möchten.

 

c) Im sprachlichen Laufe der dreistufigen Kommunikationsentwicklung kann sich die Vereinbarkeit der Universalpragmatik mit den drei Ich-Abgrenzungen folgendermaßen bewähren: Auf der ersten Stufen können Kinder, die konfus das intersubjektive Sprechen und das normengeleitete Handeln voneinander unterscheiden können, mittels nicht-verbaler Zeichen interagieren, weil es ihnen an bewusster Subjektivität mangelt. Ihrerseits können Heranwachsende, die den Unterschied zwischen dem normengeleiteten Handeln in den interpersonalen Beziehungen und dem objektiven Sprechen über kognitive Inhalte zu verstehen anfangen, auf der zweiten Stufe anhand ›propositionaler‹ Äußerungen reden und auf diese Weise ist eine systematische Integration vom kommunikativen Handeln und objektiven Erkennen schon möglich.

 

Zum Schluss entfalten Volljährige, die miteinander die beiden Unterscheidungs- und Integrationsvorgänge vereinigen, aufgrund des Übergangs vom kommunikativen Handeln zum verständigungsorientierten Diskurs auf der dritten Stufe der Kommunikationsentwicklung die intersubjektive Fähigkeit zur diskursiven Argumentation. Auf Basis von besagter Vereinigung beider Vorgänge lässt sich die Universalpragmatik mit dem System der Ich-Abgrenzungen in Einklang bringen, da der sprachliche Ursprung der universalpragmatischen, allgemeinen Strukturen der Handlungs-, Erkenntnis- und Sprachfähigkeiten jeweils mit der Normativität, Objektivität und Intersubjektivität vereinbar ist.

 

Im Vergleich zu Heranwachsenden, die die Subjektivität ihrer jeweiligen, inneren Erlebniswelt sowohl gegenüber der Normativität der sozialen Beziehungswelt als auch gegenüber der Objektivität der äußeren Gegenstandswelt und gegenüber der Intersubjektivität der Sprache abzugrenzen lernen, werden Volljährige außerdem im Lichte des diskursiven Übergangs und während des Vorgangs der dreistufigen Kommunikationsentwicklung fähig, die vier folgenden, affirmativen Seinsmodi zu unterscheiden:[2] Das allgemeine Wesen der subjektiven Erscheinung, das normative Sein des Sollen, das objektive Sein des Phänomenscheins und die intersubjektive Bedeutung der Zeichen jenseits der Grenzen jeder Einzelsprache.

 

Angesichts möglicher Täuschungen; die strategisch mittels des bloßen Scheins, der scheinbaren Sollgeltung, der trügerischen Erscheinung und des Missverständnisses die Kommunikation verzerren, sollen Volljährige mit Hilfe des kommunikativen Handelns lernen, solche Verzerrungen zu vermeiden. Laut Habermas zeigen Täuschungsphänomene eben unzureichende Abgrenzungen der Subjektivität gegenüber der Objektivität, Normativität und Intersubjektivität an[3] und dazu kann man folgendes hinzufügen: Wer bereits kommunikativ handeln kann, hat schon gegenüber dem universalpragmatischen System der Ich-Abgrenzungen die Subjektivität seines interaktiv handelnden Ich abgegrenzt und die konventionelle Stufe seines psychologischen Bewusstseins entwickelt.

 

Um den Übergang vom kommunikativen Handeln zum verständigungsorientierten Diskurs zu vervollständigen, soll das psychologisch bewusste Ich noch intersubjektiv auf einer postkonventionellen Stufe seine Selbstdarstellungs-, Handlungs-, Erkenntnis- und Sprachfähigkeiten zur diskursiven Argumentation entfalten, d.h. jeweils die vier intersubjektiven Fähigkeiten seiner expressiven, interaktiven, kognitiven und sprachlichen Kompetenz, d.h. seiner kommunikativen Interaktionskompetenz, alles zusammengenommen. Im Anschluss wird hervorgehoben, wie sich die interaktive und die kognitive Dimension besagter Kompetenz im Besonderen entwickeln.

 

 

 

 

[1] Vgl. ders., Vorstudien…, S. 206-207.

 

[2] Vgl. ebd., S. 211.

 

[3] Vgl. ebd., S. 214.

 

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