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3.4 Vorbereitung des Instrumentariums zur postdiskursiven Deutung

des menschlichen Bewusstseins

 

Nachdem die vorhergehenden Abschnitte dieser Dissertation in die dialogische Wechselwirkung der Habermas’schen Wahrheitsauffassung zum Muckschen Wahrheitsbegriff eingeführt haben, soll man die Elemente des Instrumentariums, über das man irgendwie zwecks der postdiskursiven Deutung des menschlichen Bewusstseins verfügen kann, in der Folge spezifizieren. Folglich ist die Funktion der folgenden Zusammenfassung als Übergangs zum nächsten Kapitel, das Instrumentarium zu solcher Deutung vorzubereiten. Im Großen und Ganzen besteht besagtes Instrumentarium aus Elementen; die jeweils neurobiologisch, psychologisch, dialogisch, soziokulturell und philosophisch sind.

 

3.4.1 ›Weicher‹ Naturalismus: Neurobiologisches Instrumentarium

 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Habermas’sche Naturalismus zur Identifizierung der Bestandteile des neurobiologisches Instrumentarium beiträgt, deren bestimmende Züge sich im Folgenden auflisten lassen:

 

  • Entkräftung der starken Voraussetzungen des Determinismus mit Hilfe des Begriffs einer „bedingten Freiheit“ zur universalpragmatischen Deutung der Interaktion zwischen dem Gehirn und Bewusstsein.

  • Kritische Distanzierung sowohl vom ›szientistischen‹ Determinismus, der implizit irgendwie die Selbstinstrumentalisierung des Menschen voraussetzt, zugunsten der instrumentellen Unverfügbarkeit der Menschengattung als auch vom ›inflationierten‹ Freiheitsbegriff, den bestimmte Denker der subjektivitätsfreundlichen Bewusstseinsphilosophie bisweilen verteidigen.

  • Bescheidene Argumentation für eine bedingte Freiheit, die sich gemäß dem ›weichen‹ Naturalismus durch Einflüsse und Einwirkungen der äußeren, inneren und sozialen Natur und durch die Sprache bedingen lässt, und Kritik am Natur- und Geistesmonismus.

  • Deflationierung des groben und harten Determinismus und Suche nach der Vereinbarkeit der Kantischen Begriffe von „Vernunft“ und „Freiheit“ mit der naturalistischen Menschenauffassung Darwins aufgrund der Verflochtenheit des Menschen als Naturstücks und organisch verwurzelten Geists in der Welt, seiner Vernunft und Freiheit mit der Natur. D.h. die menschliche Geistesnaturalisierung im Rahmen sowohl der Detranszendentalisierung der Philosophie als auch der Vergesellschaftung des Naturalismus im Lichte der Universalpragmatik.

  • Philosophische Gründe für die Interaktion zwischen dem Bewusstsein und Gehirn aus der Perspektive der intersubjektiven Vergesellschaftung der Kognition und Einwände gegen den epiphänomenalistischen Reduktionismus, dessen deterministische Erklärungen oft von rein neurobiologischen Ursachen ausgehend negativ der menschlichen Freiheit gegenüberstehen. In diesem Zusammenhang bestätigt die ›naturverflochtene‹ Bedingtheit der menschlichen Freiheit, die theoretisch mit einem flexiblen Determinismus vereinbar ist und praktisch im Alltagsleben von der Vergesellschaftung der menschlichen Natur verlangt wird, die These über die Interaktion zwischen dem Physischen und Geistigen, d.h. zwischen dem Gehirn und Bewusstsein.

  • Verteidigung des Habermas’schen Monismus als gegenseitiger Interaktion sowohl zwischen dem Neurobiologischen und Bewussten, zwischen den Gehirnfunktionen und dem Bewusstsein, der Natur und Kultur, Ursachen und Gründen aufgrund der Kognitionsvergesellschaftung im Rahmen des Paradigmas der intersubjektiven Kommunikationsphilosophie.

  • Plausibilität der These über die kommunikative Interaktion zwischen der ›Individuierung‹ und Vergesellschaftung, d.h. zwischen dem individuellen Aspekt der Gehirns- und Bewusstseinsrollen und dem sozialkulturellen Aspekt der Rolle der Intersubjektivität und Vergesellschaftung während der Kommunikationsvorgänge.

  • Kohärenz des Unterschieds zwischen dem Unbewussten und Bewusstsein, Ursachen und Gründen, der neurobiologischen Kommandozentrale und Ich-Instanz, dem Gehirn und Bewusstsein; die jeweils aufeinander irreduzibel sind und in kommunikativer Wechselwirkung zueinander stehen.

  • Ethische Anwendung des Verhältnisses von der naturbedingten Freiheit zur Unverfügbarkeit der menschlichen Natur auf die Kritik am ›szientistischen‹ Naturalismus und epiphänomenalistischen Reduktionismus als Ideologien der Selbstinstrumentalisierung des Menschen.

  • Habermas’scher Auflösungsversuch der Antinomie zwischen Freiheit und flexiblem Determinismus jenseits der dritten Antinomie Kants von Adornos Begriff „naturbedingte Freiheit“ ausgehend und Suche nach etlicher Vereinbarkeit der Sprache der Philosophie im Lichte der Gründe mit der Sprache der Neurobiologie im Rahmen der Ursachen.

  • Habermas’scher Einwand gegen die Reduktion der philosophischen Gründe auf bloß empirische Ursachen, d.h. gegen den grob ›szientistischen‹ Ersatz der hermeneutischen Begründung durch die rein naturwissenschaftlichen Kausalerklärungen aus der Perspektive eines auf harte Fakten geschrumpften Weltbilds.

  • Kritik an der praktischen Selbstinstrumentalisierung des Menschen und an der theoretischen Vergegenständlichung seiner Subjektivität als Versuch einer instrumentellen Geistes- und Freiheitsbewusstseinsnaturalisierung, die die kommunikative Interaktion des menschlichen Bewusstseins auf die neuronalen Prozesse im menschlichen Gehirn reduziert, und als Versuch einer Selbstrechtfertigung des ›szientistischen‹ Determinismus.

 

Nachdem der neurobiologische Ausgangspunkt für die postdiskursive Deutung des menschlichen Bewusstseins vorbereitet worden ist, soll man noch den psychologischen Aspekt des Instrumentariums zu besagter Deutung in groben Umrissen skizzieren.

 

3.4.2 Intersubjektivität: Psychologisches Instrumentarium

 

In Anbetracht des kognitiven, moralischen Bewusstseinsbegriffs Habermas’ ist es in der Folge möglich, das psychologische Instrumentarium zur Auffassung des Bewusstseins aus der postdiskursiven Sicht des lateinamerikanischen Denkens zu vorbereiten. Im Großen und Ganzen besteht besagtes Instrumentarium in den Leitlinien, die im Weiteren aufgelistet werden:

 

  • Habermas’sche, diskurstheoretische Rekonstruktion der Entwicklungsstufen sowohl des psychologischen bzw. kognitiven Bewusstseins als auch seines moralischen Gesichtspunkts und Entfaltungsprozess der kommunikativen Interaktionskompetenz, mit Hilfe derer jeder Mensch seine interpersonalen Beziehungen zum Zuge bringen kann und sich seiner Identität bewusst wird.

  • Verhältnis von der postkonventionellen Stufe des kommunikativen Handelns zu den Interaktionstypen der ›prä-‹ und konventionellen Stufen und zum menschlichen Bewusstsein im Hinblick auf Habermas’ Rekonstruktion der sozialkognitiven Entwicklungsstufen der moralischen Urteilsfähigkeit und des Bewusstseins in Anlehnung an Piaget, Youniss, Selman & Kohlberg, dessen psychologischer Ansatz laut Habermas die universalpragmatische Erklärung der moralischen Urteilsfähigkeit bestätigt und die Entwicklungsstufen der moralischen Urteilsfähigkeit überprüft.

  • Auffassung des kommunikativen Handelns als dritten Interaktionstypus auf der postkonventionellen Stufe der Intersubjektivität, deren diskursive Kommunikationsvorgänge im Rahmen der sozialen Welt das menschliche Bewusstsein vergesellschaften und nach der Verständigung streben, und universalpragmatische Begründung des moralischen Gesichtspunkts des Bewusstseins unter Berücksichtigung bestimmter Schwierigkeiten und Herausforderungen angesichts der Kritik am Kohlbergschen Ansatz.[1]

 

Das oben aufgelistete Instrumentarium bedarf der interpersonalen Beziehungen und der Ich-Du-Er-Perspektiven, denn um der intersubjektiven Ausübung der kommunikativen Interaktionskompetenz willen wird sich jeder Mensch im Dialog seiner eigenen Identität bewusst. Daher ist es notwendig, im folgenden Abschnitt die dialogischen Bestandteile des Instrumentarium zur postdiskursiven Deutung des menschlichen Bewusstseins zu spezifizieren.

 

3.4.3 Interpersonale Beziehungen: Dialogisches Instrumentarium

 

Seiner eigenen Ich-Perspektive kann man sich dann und nur dann bewusst werden, wenn besagtes Ich gerade in dialogischer Wechselwirkung zu den Du-Er-Perspektiven steht. Im Anschluss lassen sich die Leitlinien des dialogischen Deutungsinstrumentariums in groben Umrissen darstellen:

 

  • Analyse der kommunikativen Interaktionskompetenz, die kurz und gut im Ausübungsvermögen der Selbstdarstellungs-, Handlungsherstellungs-, Erkenntnisdarstellungs- und Spracherzeugungsfähigkeit zur Wechselwirkung der interpersonalen Beziehungen besteht.

  • Die grammatikalische Rolle des Bewusstseins als Adjektivs des interaktiven, handelnden Ich; das kognitiv über das eigene und fremde Handeln und mit Hilfe von intersubjektiven Kommunikationsvorgängen über die Moralität besagten Handels urteilen kann.

  • Identifizierung der kommunikativen Interaktionskompetenz mit dem kommunikativen Handeln und dem postkonventionellen Interaktionstypus.

  • Spezifikation der Identität, Besonderheit und Einzigartigkeit des interaktiv handelnden Ich gegenüber dem System der vier Ich-Abgrenzungen, nämlich der Subjektivität, Normativität, Objektivität und Intersubjektivität, die den interaktiven Austausch seiner inneren Welt mit seiner Umwelt ermöglichen.[2]

  • Gründe für die sprachliche Vereinbarkeit der begrifflichen Strukturen der Ich-Abgrenzungen mit den Fachbegriffen und Voraussetzungen der Universalpragmatik.

  • Einerseits Abgrenzung der Subjektivität des interaktiv handelnden Ich und Entwicklung seines psychologischen Bewusstseins auf der konventionellen Stufe der interpersonalen Beziehungen, andererseits diskursive Entfaltung der Selbstdarstellungs-, Handlungsherstellungs-, Erkenntnisdarstellungs- und Spracherzeugungsfähigkeit samt seiner Autonomie und seinem moralischen Bewusstsein auf der postkonventionellen Stufe der Intersubjektivität.

 

Auf der post- und konventionellen Stufe öffnen die Intersubjektivität und die interpersonalen Beziehungen das moralische und kognitive bzw. psychologische Bewusstsein und vergesellschaften es mittels der soziokulturellen Ressourcen.

 

3.4.4 Vergesellschaftung: Soziokulturelles Instrumentarium

 

In dieser Dissertation spielt die Vergesellschaftung als soziokulturelle Auffassung der intersubjektiven Detranszendentalisierung und Situierung des Vernunft- und Bewusstseinsbegriffs eine entscheidende Rolle, die im Rahmen des so genannten, nachmetaphysischen Denkens die Verschiebung vom Subjektivitäts- zum Intersubjektivitätsparadigma begünstigt. In der Folge lassen sich Elemente des soziokulturellen Instrumentariums erwähnen, deren Wechselwirkung ihren Beitrag zur Vergesellschaftung des Bewusstseins- und Vernunftbegriffs leistet:

 

  • Entwicklung historischer Bedingungen vieler moderner Gesellschaften in Zusammenhang mit der Verfahrensrationalität, Detranszendentalisierung bzw. Vergesellschaftung, Intersubjektivität und den alltäglichen Handelns- und Kommunikationskontexten.

  • Praktische Anwendung der formalen Diskursethik auf die materialen Inhalte der ›deliberativen‹ Politik, d.h. auf die demokratischen Institutionen des Rechtsstaats, die so intersubjektiv wie das menschliche Bewusstsein sind.

  • Zivilgesellschaftliche Rolle der Interaktion des Bewusstseins während der Vorgänge demokratischer Meinungs- und politischer Willensbildung, denn im Laufe solcher intersubjektiven Vorgänge werden sich Staatsbürger(innen) als Zivilgesellschaft interaktiv ihrer kommunikativen Macht bewusst.

  • Entfaltung der zivilgesellschaftlichen Fähigkeiten des Bewusstseins zur interaktiven Kommunikation und zur kommunikativen Interaktion mit Hilfe der informellen Meinungs- und formellen Willensbildung, deren Auffassung auch in bestimmte Fälle gemäß Habermas den bürgerlichen Ungehorsam einschließt.

 

Von den oben erwähnten Elementen ausgehend; die jeweils neurobiologisch, psychologisch, dialogisch und soziokulturell sind, lässt sich das philosophische Instrumentarium klar im Lichte der Grundbegriffe der Diskurstheorie verstehen.

 

3.4.5 Diskurstheorie: Philosophisches Instrumentarium

 

In der diskurstheoretischen Perspektive fließen nicht nur die wichtigen Leitlinien des philosophischen Instrumentariums zusammen, sondern auch alle Richtungen der oben erwähnten Elemente des Instrumentariums zur Bewusstseinsdeutung. Unter diesem Gesichtspunkt, unter dem sich Lehren von der systematischen Philosophie und der Philosophiegeschichte in Zusammenhang bringen lassen, kann man die folgenden Bestandteile des philosophischen Instrumentariums zusammenfassen:

 

  • Beitrag des nachmetaphysischen Denkens zur Kritik an der akademischen Metaphysik in Anlehnung an moderne und postmoderne Philosophen; unter denen sich Kant, Heidegger, Transzendentalphilosophen, Vertreter der existenzialen Phänomenologie, der ontologischen Hermeneutik, der so genannten Transzendentalpragmatik und Universalpragmatik befinden, und zur Kritik an der subjektfreundlichen Bewusstseinsphilosophie im Lichte der Erkenntnistheorie.[3]

  • Anwendung der Diskurstheorie im Allgemeinen und Anwendung der Theorie der kommunikativen Interaktionskompetenz im Besonderen auf die Grundbegriffe von Erkenntnis und Interesse, Theorie und Handeln, Faktizität und Geltung, auf die Diskursethik, Eugenik, ›deliberative‹ Politik und auf das Verhältnis von der Wahrheit zur Rechtfertigung. Während die ersteren und letzteren eben mit der Erkenntnistheorie im Zusammenhang stehen, ist das Wortfeld der Begriffe „Handeln“, „Diskursethik“ und „Eugenik“ ethisch. Bei rechtem Licht betrachtet, haben Themen über die ›deliberative‹ Politik, Faktizität und Geltung etwas nicht nur mit der philosophischen Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats zu tun, sondern auch mit der Anthropologie, deren Voraussetzungen die Perspektiven sowohl der erkenntnistheoretischen als auch der ethischen Begriffe fokussieren. Dafür lässt sich der folgende Grund anführen: Wer erkennend moralisch handelt, ist ein Mensch, der sich seiner selbst bewusst ist und dessen Interessen und Weltanschauung seine Erkenntnis und Handlung bedingen.

  • Thematische Verflechtung der Interaktion des Bewusstseins mit besagten Begriffen und Anwendungen, die ihm sowohl zur theoretischen Kohärenz seiner systematischen Behandlung als auch zu seiner Entwicklung und zur Entfaltung seiner praktischen Fähigkeiten im Alltagsleben verhelfen.

 

 

 

 

[1] Der moralische Gesichtspunkt des Bewusstseins ist postkonventionell und lässt sich auf die alleinige Geltung des Rechts nicht reduzieren. «Und ganz generell hält Habermas die Wandlung zu einem postkonventionellen Bewusstsein, das die Trennung von Moral und Recht erforderlich macht, für einen moralischen Fortschritt». ISER, Mattias/STRECKER, David, Jürgen Habermas zur Einführung (Junius, Hamburg 2010), S. 200.

 

[2] Die innere Welt und Umwelt bilden die Lebenswelt, deren Vorstellung Habermas folgendermaßen beschreibt: «Die Lebenswelt steht uns nicht theoretisch vor Augen, wir finden uns vielmehr vortheoretisch in ihr vor. […] Vorgreifend läßt sich die Lebenswelt als der jeweils nichtüberschreitbare, nur intuitiv mitlaufende Erfahrungshorizont und als nichthintergehbarer, nur ungegenständlich präsenter Erlebnishintergrund einer personalen, geschichtlich situierten, leiblich verkörperten und kommunikativ vergesellschafteten Alltagsexistenz beschreiben». HABERMAS, Jürgen, Philosophische Texte. Kritik der Vernunft (Suhrkamp, Frankfurt 2009), Bd. V, S. 204.

 

[3] Mit Hilfe der Debatte und der Kritik ist Habermas’ Ansatz wirklich selbstkritisch. Diesbezüglich schreibt Horster folgendes: «Habermas’ Eigenart ist, sich mit seinen ernst zu nehmenden Kritikern auseinanderzusetzen und dabei seine Theorie zu korrigieren und zu modifizieren. […] Diese Diskussionen haben in Habermas’ Theoriebildung einen hohen Stellenwert». HORSTER, Detlef, Jürgen Habermas zur Einführung (Junius, Hamburg 20063), S. 122.

 

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