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3.2.3 Naturbedingte Freiheit und Unverfügbarkeit

 

 

Darf der Mensch insoweit instrumentell über seine eigene Natur verfügen, als sich seine bedingte Freiheit mit der Natur verflicht und sein Leib ein Naturstück ist? Auf diese Frage antwortet Habermas negativ und erhebt seinerseits gegen die szientistische Selbstinstrumentalisierung der Menschengattung Einwände. Auf diese Weise debattiert er mit anderen Denkern über den biotechnischen Eingriff ins menschliche Genom und über die Grenzen sowohl einer praktischen ›Verfügbarmachung‹ bzw. Selbstinstrumentalisierung, wonach der Mensch und seine Natur biotechnisch verfügbar seien (1), als auch der epistemischen Unverfügbarkeit des Menschen als Verkörperung des Geists, dessen Leib sich interaktiv mit der Natur verflicht (2).

 

1) Gegen die praktische ›Verfügbarmachung‹, die im Rahmen der biogenetischen Forschung und Gentechnologie stattfindet, verteidigt Habermas zugunsten der naturbedingten Freiheit des Menschen die Unverfügbarkeit seiner Natur, denn sie darf niemals instrumentell jemandem zur Verfügung gestellt werden. Mittels der instrumentellen Vernunft hat sich die Verfügung über die äußere Natur auf die verdinglichende ›Verfügbarmachung‹ der inneren Natur ausdehnen lassen und infolgedessen ist die Vergegenständlichung der natürlichen Umwelt einfach um die Selbstinstrumentalisierung des Menschen erweitert worden. Z.B. setzen Eltern über ihre Kinder in instrumenteller Weise ihre Wünsche durch, wenn sie biogenetisch über die Vererbung ihrer Kinder verfügen, als ob diese letzteren bloße Instrumente wären.

 

Unter diesem Gesichtspunkt werden besagte Kinder bereits am Anfang ihres Lebens aus den Kommunikationsvorgängen und der kommunikativen Interaktion ausgeschlossen. Von diesem Standpunkt aus betrifft solcher Ausschluss, der zu einer alltäglichen Denk- und Lebensart geworden ist, in ähnlicher Weise viele andere Menschen. Alles zusammengenommen, wer den Ausschluss aus den Kommunikationsvorgängen begünstigt, betrifft die kommunikative Interaktion des menschlichen Bewusstseins und die Entfaltung seiner Fähigkeiten, z.B. unterminiert der Ausschluss das Freiheitsbewusstsein. Aus diesem Grund setzt sich diese Dissertation mit dem Thema der praktischen ›Verfügbarmachung‹ und der epistemischen Unverfügbarkeit der menschlichen Natur auseinander.

 

2) Jenseits der praktischen Selbstinstrumentalisierung des Menschen erregt die theoretische Vergegenständlichung seiner Subjektivität das Interesse Habermas’ für die epistemische Unverfügbarkeit der menschlichen Natur. Ihm zufolge lässt sich besagte Vergegenständlichung für den Versuch einer rein instrumentellen Naturalisierung des Geists, die als Ersatz der vergesellschafteten Verkörperung des Geists in den intersubjektiv geteilten Kommunikationsvorgängen gilt, halten. Im Hinblick auf die Naturalisierung des Freiheitsbewusstseins reduziert besagter Versuch die kommunikative Interaktion des menschlichen Bewusstseins auf die neuronalen Prozesse im Gehirn und zieht die Unverwechselbarkeit und die Unersetzlichkeit der menschlichen Person in Zweifel.

 

Im Vordergrund dieser Problematik steht die Reduktion der philosophischen Gründe auf bloß empirische Ursachen, denn der Szientismus ersetzt grob die Begründung und Interpretation durch die Kausalerklärungen und Erfahrung und in gleicher Weise wird die gültige Erkenntnis vom hermeneutischen Wissen des ›weichen‹ Verständnisses zum empirischen Wissen der ›harten‹ Tatsachen verschoben. Gegen diesen Reduktionismus erhebt Habermas Einwände und schreibt folgendes:

 

«Die Ontologisierung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zu einem naturalistischen, auf ›harte‹ Fakten geschrumpften Weltbild ist nicht Wissenschaft, sondern schlechte Metaphysik».[1] «Interpretation und Erfahrung sind zwei Momente, die sich im Erkenntnisprozess nicht voneinander isolieren lassen».[2]

 

Obgleich die Beobachterperspektive vor der Teilnehmerperspektive in den Naturwissenschaften den Vorrang hat, ergänzen sie sich gegenseitig und sind gleichursprünglich. Ihrerseits stützt die naturwissenschaftliche Erforschung selbst auf Argumente und Gründe ihre Erkenntnisse und bedarf der Interaktion und der hermeneutischen Ressourcen. Daher vertritt der ›weiche‹ Naturalismus die These über die Vereinbarkeit der Sprache der Philosophie mit der Sprache der Naturwissenschaften und versucht im Dialog mit anderen Denkern, sowohl den Begriff „naturbedingte Freiheit“ mit der natürlichen Evolution des menschlichen Leibs als auch die neurobiologischen Prozesse des Gehirns mit der kommunikativen Interaktion des Bewusstseins in Einklang zu bringen.

 

An der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck hat Otto Muck u. a. mit Hilfe von philosophischen Untersuchungen der transzendentalen Methode die Möglichkeit einer Synthese nicht nur der Einzelwissenschaften untereinander verteidigt, sondern auch zwischen Metaphysik und Einzelwissenschaft.[3] Im Vergleich zum nachmetaphysischen Denken Habermas’, das nach der universalpragmatischen Bewusstseins- und Vernunftdetranszendentalisierung strebt, führt Muck mit besagtem Syntheseversuch die philosophische Aufgabe einer transzendentalen Begründung der Metaphysik fort. Im folgenden Abschnitt soll man auf diese Frage antworten: Teilt Habermas’ dialogischer Beitrag zur Sprachvereinbarkeit der Philosophie und Naturwissenschaften vielleicht etwas mit Mucks dringender Aufgabe einer Synthese zwischen Metaphysik und Einzelwissenschaft(en)?

 

 

 

 

[1] Ebd., S. 215.

 

[2] Ebd., S. 214.

 

[3] Das oben erwähnte Thema betreffend schreibt Muck folgendes: «Wie man das alles in der Praxis des wissenschaftlichen Philosophierens möglichst einfach und sicher durchführen kann, ist eine andere Frage. Sie gehört einer Methodologie der transzendentalen Methode an. Aus dem Gesagten ergibt sich wenigstens, daß eine solche Methodologie für die Metaphysik von großer Bedeutung ist. Wir hoffen gezeigt zu haben, daß die dringende Aufgabe der Synthese der Einzelwissenschaften untereinander und von Einzelwissenschaft und Metaphysik nur mit Hilfe eingehender methodologischer Untersuchungen möglich ist. [...] Es geht dabei um die Erforschung der Eigenart der einzelwissenschaftlichen Erkenntnis, um die transzendentale Begründung der Metaphysik und in Fortführung und Vollendung beider Bestrebungen um die transzendentale Rückführung der Einzelwissenschaft auf die Metaphysik und die Objektivierung dieser transzendental erarbeiteten Einheit». MUCK, Otto, Rationalität und Weltanschauung. Philosophische Untersuchungen (Tyrolia, Innsbruck/Wien 1999), S. 201.

 

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